Wie werden bestehende Quartiere energieeffizient? Wie können Bestandsgebäude energetisch vernetzt werden? Welche Vorteile haben die Bewohnerinnen und Bewohner davon? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Projekt Open District Hub in Bochum-Weitmar (ODH@Bochum-Weitmar). Es hat sich zum Ziel gesetzt, ein digitales Ökosystem zu erschaffen, das die Menschen und Häuser in dem Bochumer Quartier miteinander vernetzt, die Energieeffizienz verbessert und die angewandten Konzepte auf weitere Quartiere übertragbar macht.
Das ODH-Team, bestehend aus sechs Projektpartnern, begleitet die Modernisierung und energetische Sanierung der Gebäude in Bochum-Weitmar. Dabei steht die ganzheitliche Quartiersentwicklung im Vordergrund, zu der auch die Umsetzung optimierter Energieversorgung und neuer Mobilitätskonzepte im Quartier zählen. Die Modernisierung beinhaltet Photovoltaikanlagen, die auf den Dächern der Häuser installiert werden, und eine Energiezentrale. Die von Vonovia in einem eigenen Projekt erbaute EnergieZentrale der Zukunft (EZZ) besteht unter anderem aus einem Elektrolyseur, der überschüssigen Solarstrom in Wasserstoff umwandelt, einer Brennstoffzelle, die bei Bedarf den Wasserstoff in Strom und Wärme zurückwandelt sowie Wärmepumpen für Warmwasser und Heizung. Für das Projekt liefert die EZZ relevante Daten und bietet Steuerungsmöglichkeiten für unterschiedliche Forschungsmodule.
Synergien verstärken die Vorteile für das Quartier
Das Projektteam verfolgt hierbei mehrere Ansätze und betrachtet diverse Teilaspekte, die zu einem Gesamtsystem gebündelt werden. Zum einen soll ein selbstlernendes Energiemanagementsystem helfen, die Nutzung lokal bereitgestellter Erneuerbarer Energie sektorenübergreifend (Strom, Wärme, Mobilität) im Quartier optimal zu nutzen und die Energieeffizienz zu steigern. Zum anderen ist ein digitaler Marktplatz geplant, der die im Quartier lebenden Menschen vernetzt. Über einen integralen Planungsansatz können Sanierung, Energieversorgung und Mobilität gemeinsam ausgelegt werden. Die gesamten Daten des Quartiers und der Module werden in einem übergreifenden Informations- und Kommunikationssystem gebündelt und für die unterschiedlichen Module und Services bereitgestellt. Die gewonnenen Kenntnisse sollen zudem genutzt werden, um die Transformation weiterer Bestandsquartiere zu optimieren.
„Das digitale Ökosystem kombiniert verschiedene moderne Technologien,“ sagt Projektleiter Eckard Bicker. „Ihre Synergien senken den Energieverbrauch, reduzieren CO2-Emissionen und fördern die Sektorenkopplung im Quartier. Dadurch sammeln wir auch wichtige Daten, die wir für die Modernisierung anderer Quartiere einsetzen können.“
Managementsystem berechnet effektivste Energienutzung
Die im Quartier installierten Photovoltaikanlagen liefern je nach Wetterlage schwankende Strommengen zur Energieversorgung der unterschiedlichen Verbraucher im Quartier. Dieser erneuerbare und CO2-neutrale Strom kann entweder direkt im Stromsektor Lasten decken, in CO2-neutral Wärme überführt oder zur Nachladung von E-Autos der Quartiersbewohner beziehungsweise der Car-Sharing-Flotte genutzt werden. Des Weiteren kann der CO2-neutrale-Strom auch in Batteriespeichern zwischengelagert und für spätere Zeitpunkte, wenn kein oder nicht genügend PV-Strom lokal erzeugt wird, verfügbar gemacht werden. Darüber hinaus besteht mittels Elektrolyseur die Möglichkeit, elektrische Überschüsse in grünen Wasserstoff zu überführen und die Rückverstromung durch die Brennstoffzellentechnologie zu ermöglichen. Das vom Projektteam entwickelte selbstlernende Energiemanagementsystem (SEMS) optimiert hierfür, wie Energie am effektivsten genutzt und die schwankende Energiebereitstellung aus Erneuerbaren Quellen mit den sektorenübergreifenden Energiebedarfen im Quartier in Einklang gebracht und maximiert werden kann. Das System nutzt hierbei Ansätze auf Basis künstlicher Intelligenz und des maschinellen Lernens. Die Ansätze sollen die Vorhersage- und Optimierungsmodelle automatisiert und selbstlernend verbessern, um die Prognose- und Optimierungsergebnisse kontinuierlich zu verbessern und sich automatisiert an ändernde Lastsituationen anzupassen.
Digitale Marktplattform bietet Produkte und Dienstleistungen
Die digitale Marktplattform ermöglicht und unterstützt den Handel von lokalen Energieprodukten. Sie dient dabei zunächst als Schnittstelle zwischen den Akteuren im Quartier. Dazu zählen einerseits Anwohnerinnen und Anwohner, die sowohl Konsumenten als auch Prosumenten sein können, andererseits auch Quartiersbetreiber und die Energieinfrastruktur, die die Anlagen und das SEMS beinhaltet. Von den Nutzern kann die digitale Marktplattform zudem als Abrechnungsplattform genutzt werden, um den Überblick über aktuelle Ausgaben zu behalten. Zusätzlich kann die Plattform auch eine Schnittstelle zur Integration von neuen Geschäftsmodellen (z. B. Mieterstrom und E-Carsharing) darstellen und bietet die Möglichkeit, weitere Akteure wie Handwerker oder Kleinanzeigen einzubeziehen.
Planungssystem erleichtert Transformation weiterer Quartiere
Das integrale Planungssystem unterstützt die Umsetzung durch einen Technologie- und Konzeptbaukasten für Quartiere. Zudem kann es durch Einsatz einer mathematischen Optimierung die ideale Kombination aus erneuerbarer Energieversorgung, Speichern und Sanierung für das jeweilige Quartier berechnen. Die E-Mobilität wird dabei als Element des Energiesystems mitbetrachtet. Diese ganzheitliche Betrachtung ermöglicht zukunftsfähige Energiekonzepte mit einer hohen CO2-Einsparung bei möglichst geringen Kosten. Das System wird in Bochum-Weitmar entwickelt und erprobt und erleichtert dank seiner Übertragbarkeit auf andere Städte und Regionen die Planung und Umsetzung von Quartierskonzepten.
Der Stadtteil Weitmar befindet sich im Südwesten der Stadt Bochum. Er umfasst fünf Stadtquartiere mit Mehrfamilienhäuser mit über 1.500 Wohnungen sowie Reihenhäusern. Für die kommenden Jahre ist die schrittweise Sanierung der Quartiere geplant. Das ODH-Quartier mit seinem Gebäudebestand aus den 1950er und 1960er Jahren, der einen hohen Sanierungsbedarf aufweist, und mit seinen Parkplatzengpässen und Eigentümerstrukturen ist ein gutes Beispiel für viele weitere Quartiere in Deutschland. Mit Hilfe des ODH-Ökosystems können die Ergebnisse und Erfahrungen aus dem Projekt ODH@Bochum-Weitmar mühelos auf andere Region übertragen und nutzbar gemacht werden. Ziel ist es, die Energieeffizienz, erneuerbare Energiequellen und Mobilitätskonzepte auf Quartiersebene zu optimieren.
Durchgeführt wird das Projekt unter dem Dach des Open District Hub e. V. Der ODH ist ein gemeinnütziger Verein, der sich für das Gelingen der Energiewende und die Entwicklung lebenswerter, klimaneutraler Städte und Regionen engagiert. Mit mehr als 40 Mitgliedsorganisationen aus Forschung und Wirtschaft sucht der Verein nach innovativen Lösungen zur Sektorenkopplung im Quartier.
Projektpartner
Vonovia
Vonovia hat den Anspruch, in der Energiewende Vorreiter zu sein. Deshalb setzen wir auf erneuerbare Energien und testen neue Technologien zur Energiesteuerung und des Energieverbrauchs. So haben wir in unserem Quartier in Bochum-Weitmar gemeinsam mit den renommierten Instituten der Fraunhofer Gesellschaft und unserem Praxispartner Ampeers Energy das Forschungsprojekt ODH@Bochum-Weitmar gestartet. Es ist einzigartig in Deutschland und wird mit 5,3 Millionen Euro vom NRW-Wirtschaftsministerium gefördert.
Das Projekt läuft seit September 2019 über drei Jahre und hat das Ziel, Strom, Wärme und Mobilität auf Quartiersebene zu koppeln und so ökologisch und ökonomisch vorbildliche Lösungen zu entwickeln. Ein Beispiel dafür ist die Erzeugung von Strom durch eigene Photovoltaik-Anlagen. Dieser CO2-neutral gewonnene Strom wird unter anderem zur Wärmeerzeugung in unserer neugebauten Energiezentrale der Zukunft verwendet, um die angeschlossenen Gebäude des Quartiers nachhaltig mit Wärme zu versorgen. Darüber hinaus planen wir den Einsatz von Elektroautos. Mit dem lokal erzeugten Strom können unsere Mieterinnen und Mieter Elektroautos laden, unter anderem die wir im Rahmen eines E-Carsharings anbieten.
Welche neuen Services planen wir noch? Zum Beispiel neue Mieterstrommodelle, ebenso neuartige Konzepte für eine Quartiers-App. Außerdem arbeiten wir an der Entwicklung einer selbstlernenden Software, mit der Energie im Quartier intelligent gesteuert werden kann. Damit alle unsere Quartiere von den Erkenntnissen des Forschungsprojektes ODH@Bochum-Weitmar profitieren können, entwickeln wir eine Software für die integrale Quartiersplanung.
Ampeers Energy
AMPEERS ENERGY fokussiert die Entwicklung und den Betrieb intelligenter Software-Lösungen zum Management dezentraler Geschäftsmodelle für Strom, Wärme und Mobilität. Ziel ist dabei die möglichst wirtschaftliche und ökologische Einbindung erneuerbarer Energien, welche insbesondere durch eine Eigenverbrauchsmaximierung erreicht werden kann. Hierfür werden im Projekt gesteuerte Ladelösungen für Use Cases im Quartier (z.B. E-Carsharing) evaluiert. Zusätzlich wird untersucht, wie den Bewohner*innen z.B. durch Energiegemeinschaften lokal produzierter Solarstrom möglichst günstig bereitgestellt werden kann.
Fraunhofer FIT
Die Aufgaben des Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT liegen im Projekt schwerpunktmäßig in der Ausarbeitung und Bewertung innovativer, IT-gestützter und nachhaltiger Geschäftsmodelle im Bereich der Elektromobilität (bspw. E-Carsharing) und des lokalen Handels (bspw. Mieterstrom) im Kontext cross-sektoraler Energiesysteme im Quartier. Ein besonderer Fokus beruht dabei auf der Analyse von Nutzerpräferenzen im Zusammenhang mit neuen digitalen Technologien und Services.
Fraunhofer IOSB-AST
Der Institutsteil Angewandte Systemtechnik (AST) des Fraunhofer IOSB befasst sich im Rahmen des Projektes mit den Fragen, wie Energiedaten zukünftig gezielt, standardisiert, sicher, präzise und automatisiert erhoben sowie genutzt werden können. Darüber hinaus werden Ansätze zur Umsetzung eines selbstlernenden Energiemanagements für eine cross-sektorale bzw. sektorenübergreifende (Strom-, Wärme-, Mobilitätssektor) Quartiersenergieversorgung, basierend auf lokalen erneuerbaren Energiequellen entwickelt. Hierbei werden selbstlernende Ansätze zur Prognose und Optimierung für Quartiersenergiesysteme entwickelt und untersucht.
Fraunhofer IOSB-INA
Das Fraunhofer IOSB-INA ist Wegbereiter der industriellen Automation - die intelligente Vernetzung, die Analyse und Überwachung sowie die benutzergerechte Gestaltung technischer Systeme - sind unsere Kernkompetenzen. Die Fachthemen im Projekt umfassen die Entwicklung eines Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) – Ökosystems, die Integration der einzelnen Komponenten zu einem Gesamtsystem und die Umsetzung des Gesamtsystemkonzeptes inklusive aller relevanten Modelle, Prozesse und Schnittstellen.
Fraunhofer UMSICHT
Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT entwickelt und erforscht im Projekt eine integrale Quartiersplanung. Um gerade Bestandsquartiere wie in Bochum-Weitmar in Zukunft klimafreundlich zu gestalten, werden die Strom- und Wärmeversorgung, energetische Sanierung und E-Mobilität gemeinsam betrachtet. Durch Abbildung aller Komponenten als digitales Modell kann eine mathematische Optimierung aus der Vielzahl möglicher Varianten und Zukunftsszenarien das ökologisch und wirtschaftlich sinnvollste Quartierskonzept auswählen und für eine Umsetzung empfehlen.
Mehr Infos auf der Fraunhofer-UMSICHT-Website
Förderpolitischer Rahmen
Als Antwort auf veränderte Strukturen und Anforderungen im Ruhrgebiet wurde im Juni 2017 der Grundstein für die Ruhr-Konferenz gelegt. Gemeinsam mit der Politik, der Wirtschaft, Institutionen und Verbänden sowie den Bürgerinnen und Bürgern entstand in diesem Rahmen eine Vision für die Zukunft des Ruhrgebiets.
Die entwickelten Projekte betreffen die unterschiedlichsten Lebensbereichen - von Wirtschaft und Wissenschaft über Kultur und Gesellschaft bis hin zu Tourismus und Sport. Eines dieser Projekte ist der Open District Hub Bochum-Weitmar.
zur Ruhr-Konferenz-WebsiteStand: Februar 2022