Hintergründe
Bis zum Jahr 2045 soll das Land entsprechend der Klimaschutzziele von Paris und des Green Deal der EU klimaneutral sein. Gemeinsam bilden erneuerbare Energien, intelligente Stromnetze und innovative Speichertechnologien das Rückgrat für das klimaneutrale Energiesystem der Zukunft.
Die erneuerbaren Energien bilden dabei die Basis. Sie ermöglichen eine nachhaltige und klimaneutrale Energieversorgung, die alle Sektoren – Strom, Wärme/Kälte, Mobilität und die Industrie – einschließt.
Intelligente Netze und Speichertechnologien kommen ins Spiel, weil die erneuerbaren Energiequellen von Tageszeit bzw. Sonnenstand und Wetterbedingungen abhängig sind: Wenn die bereitgestellten Energiemengen wegen unterschiedlich starker Sonneneinstrahlung oder sich verändernden Windverhältnissen schwanken, braucht es intelligente Stromnetze und Speichersysteme, die die Erzeugung und den Verbrauch von Energie zeitlich voneinander entkoppeln. Das heißt, zuvor überschüssig produzierte Energie (zum Beispiel an einem sehr sonnigen Tag) könnte durch intelligente Netze und Speicher zu einem späteren Zeitpunkt genutzt werden (zum Beispiel in der Nacht).
Solche innovativen Technologien sind essenziell für das Gelingen der Energiewende. Das Ziel ist es daher, die anwendungsnahe Energieforschung zu stärken, indem zukunftsweisende Projekte durch das Land gefördert werden. Innovationen und Technologien sollen rasch entwickelt und im Alltag angewandt werden können. Hierfür braucht es auch starke Partnerschaften von Unternehmen und Forschungseinrichtungen.
Erneuerbare Energie: Wind, Sonne, Erdwärme
Unter den erneuerbaren Energien sind Windenergie und Solarenergie die beiden wichtigsten Säulen. Bei den Windkraftanlagen geht es vor allem darum, die Anlagen so weiterzuentwickeln, dass sie noch leistungsstärker und zuverlässiger werden. Zudem soll die Anzahl der Stunden, in denen die Anlagen unter Volllast laufen – in denen also die maximal mögliche Energie konstant geliefert wird – weiter gesteigert werden. Bei der Solarenergie sollen insbesondere die Produktionskosten für Photovoltaik-Anlagen gesenkt werden – bei weiterhin steigender Qualität und Effizienz der Solarzellen und -module.
Für die regenerative Wärmeversorgung über Nah- und Fernwärmenetze bietet die Tiefengeothermie große Potenziale. Um deren Ergründung und Nutzung weiter zu unterstützen, hat die Landesregierung im Oktober 2020 den Wettbewerb „Wärme aus Tiefengeothermie für NRW“ initiiert. Die Gewinnerprojekte wurden im April 2021 bekanntgegeben. Zu den Projekten
Intelligente Stromnetze
Bisher wurde der Strom von großen, zentralen Kraftwerken über die Übertragungs- und Verteilnetze zum Verbraucher transportiert. Dieses traditionelle System wird im Energiesystem der Zukunft teilweise auf den Kopf gestellt, denn der Strom wird künftig nicht mehr nur von oben (vom Kraftwerk) nach unten (zum Endverbraucher) fließen, sondern auch von unten nach oben: Anders als bisher wird eine Vielzahl von Kleinanlagen ihren Strom dezentral und dynamisch in die untere Netzebene, also in das Verteilnetz, einspeisen.
Möglicherweise fließt dann zum Beispiel Strom aus einer privaten Photovoltaik-Anlage direkt in das Elektrofahrzeug des Nachbarn, ohne zuvor eine Trafostation zu passieren. Überhaupt kommen mit der Elektromobilität, aber auch mit Wärmepumpen, ganz neue Verbraucher auf der unteren Netzebene hinzu.
Die Stromnetze müssen alsofit gemacht werden für das Energiesystem der Zukunft und insgesamt flexibel auf die veränderte Situation und auf das schwankende Energieangebot aus erneuerbaren Energiequellen reagieren können – dies gelingt durch Digitalisierung und Intelligenz in den Netzen, sogenannten „Smart Grids“. Sie sorgen zugleich auch für Netzstabilität und Versorgungsqualität.
Innovative Speichertechnologien
Durch ihre Fähigkeit, überschüssige Energie zu speichern und zu einem späteren Zeitpunkt wieder verfügbar zu machen, sind auch Speicher eine wichtige Komponente für die Flexibilität des Energiesystems. Benötigt werden dabei alle verfügbaren Technologien: Batterien, die Energie elektrochemisch speichern. Pumpspeicher, die Wasser in hochgelegene Wasserreservoirs pumpen und diese Lageenergie später durch Turbinen verfügbar machen. Wärmespeicher, die zum Beispiel Abwärme aus Industrieprozessen zwischenspeichern oder auch als saisonale Großspeicher dienen und so die Entstehung und Nutzung von Wärme zeitlich entkoppeln. Gasspeicher, in denen gasförmige Energieträger wie Wasserstoff gelagert werden.
An dieser gesamten Palette der Speichertechnologien wird gearbeitet und geforscht. Entwicklungsschwerpunkte sind dabei zum Beispiel Speichermaterialien und -prozesse sowie der großskalige Einsatz von Hochtemperatur-Wärmespeichern in industriellen Prozessen und bestehenden Kraftwerken. Alle Möglichkeiten der Speichertechnologien sollen für das Energiesystem der Zukunft ausgeschöpft werden.
Experteninterview
Interview mit Professor Dr. Görge Deerberg und Professor Dr. Emmanouil Kakaras
„SPIN: Gemeinsam das zukünftige Energiesystem gestalten“
Professor Dr. Görge Deerberg ist stellvertretender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT) und forscht an technischen Prozessen, die aus wirtschaftlicher und energetischer Sicht sowie im Ressourcenverbrauch effizient und nachhaltig sind. Darüber hinaus ist er Professor für Umweltwissenschaften an der FernUniversität in Hagen.
Professor Dr. Emmanouil Kakaras ist Senior Vice President und Head of New Business bei der Mitsubishi Power Europe GmbH und Gründungsmitglied des Spitzenclusters Industrielle Innovationen (SPIN). Zusätzlich lehrt und forscht er an der National Technical University in Athen und ist unter anderem an Arbeitsgruppen der Europäischen Kommission beteiligt.
Das Ruhrgebiet wartet mit einer Vielzahl von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen im Energiebereich auf. Wie erleben Sie diese Innovationsdichte?
Deerberg: Ich empfinde das als bereichernd. Einfach deswegen, weil wir inzwischen gelernt haben, dass keiner von uns Forschenden alles kann. Wir müssen also kooperieren und dabei hilft die hohe Dichte an Know-how-Trägern enorm. Zwar fällt uns Naturwissenschaftlern und Ingenieuren das Kommunizieren nicht immer ganz leicht. Aber wir haben in den letzten Jahren viel dazugelernt, eben weil hier so viel kollaboriert, interagiert und kommuniziert wird. Dafür eignet sich das Ruhrgebiet ganz besonders.
Kakaras: In der Industrie stehen wir zwar im Wettbewerb zueinander, doch bei der vorwettbewerblichen Forschung und Entwicklung ist die Zusammenarbeit zwischen Industrieunternehmen nicht nur akzeptiert, sondern erwünscht. Auf diese Weise können wir wichtige Erkenntnisse möglichst schnell gewinnen. Die Kooperation ist damit eine Grundlage der Innovationsentwicklung.
Hatte dieses Gefühl des Miteinanders schon immer Bestand oder hat es sich mit der Zeit entwickelt?
Deerberg: Ich denke, das hat sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt. Zum Teil, weil wir Wissenschaftler gelernt haben, dass wir uns um die Themen Energiewende und Klimaschutz gemeinsam kümmern müssen. Austausch und Kommunikation waren zumindest auf interdisziplinärer Ebene nicht immer so ausgeprägt, wie sie es heute sind.
Kakaras: Traditionell bedeutet Ruhrgebiet ja Kohle und Stahl. Mittlerweile hat sich das Wirtschaftsspektrum aber natürlich an die neuen Technologien angepasst und gleichzeitig wurde massiv in neue Disziplinen und Ausbildungsbereiche investiert. Dadurch sind wir heute in der glücklichen Situation, eine Vielzahl von Hochschulen und Forschungsinstituten zu haben.
Auch die Geschwindigkeit spielt heute eine maßgebliche Rolle für Innovationen.
Deerberg: Geschwindigkeit ist ein entscheidender Faktor. Geschwindigkeit ist aber manchmal auch der Feind von Kontinuität. Und das ist in der Forschung natürlich ein Problem, denn wir brauchen eine gewisse Kontinuität und Beständigkeit, um Themen fundiert angehen zu können. Geschwindigkeit wird damit zu einer echten Herausforderung für die Wissenschaft.
Kakaras: Gerade in der Energiebranche haben Investitionen eine lange Lebensspanne von 30 bis 50 Jahren, manchmal sogar länger. Solche Investitionen sind äußerst kapitalintensiv und die Entscheidung dafür oder dagegen ist oftmals nicht leicht zu treffen – insbesondere bei zunehmender Geschwindigkeit. Unsere Strukturen, unsere Technologien und unsere Geschäftsmodelle, das alles müssen wir an die neue Geschwindigkeit anpassen. Das ist eine große Herausforderung für Industrie und Unternehmen.
Deerberg: Gleichzeitig sehe ich durch die neue Geschwindigkeit auch viele Chancen: Man verharrt nicht in Altbewährtem, sondern betrachtet die Dinge zunehmend dynamisch. Auch die Arbeitsweise ist eine andere. Wir müssen mit agilen Methoden arbeiten und uns daran gewöhnen, nicht über viele Jahre hinweg an dem gleichen Thema oder mit dem gleichen Blickwinkel zu arbeiten. Aber das liegt auch in den Zeichen der Zeit und passt gut zu unserem Anspruch an eine moderne Wissenschaft. Auch, weil wir damit viel näher am Puls der Zeit sind und Unternehmen so deutlich besser unterstützen können. Dieses neue Arbeiten führt natürlich auch dazu, dass relevante Fragestellungen aus der Wirtschaft rascher bei der Wissenschaft ankommen und zu neuen Impulsen führen.
2019 wurde das Spitzencluster Industrielle Innovationen (SPIN) gegründet. Welches Ziel hat dieser Zusammenschluss?
Kakaras: SPIN ist eine Allianz aus Industrie, Forschung, mittelständischen Unternehmen und Start-ups mit einer gemeinsamen Mission: das zukünftige Energiesystem zu gestalten. Das Besondere dabei ist, dass die Ziele nicht abstrakt sind oder von externen Expertengremien formuliert werden, sondern dass man auf Projektebene arbeitet und auf konkrete Umsetzungen abzielt. Die Wissenschaft liefert dazu Ideen und Impulse und die Priorisierung kommt von den umsetzenden Unternehmen. Das ist glaube ich das Alleinstellungsmerkmal von SPIN.
Deerberg: Was wir über SPIN auch erreichen möchten, ist, das Silodenken aufzubrechen. Wenn jeder nur in seinem Silo, also in seinem Segment oder Forschungsbereich, agiert und nicht über die Grenzen hinweg denkt, dann verschenken wir viele Chancen. Dann ist vielleicht die Energieindustrie optimiert und die Chemieindustrie ist optimiert – aber das bedeutet noch lange nicht, dass das Gesamtsystem besser ist. Oder, dass es gar das Bestmögliche ist. Gerade in diesen Überlappungsbereichen zwischen den Disziplinen liegen heute die größten Potenziale für Innovationen. Und damit ist auch klar, dass niemand alleine weiterkommt.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit? Sowohl zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, aber auch zwischen Unternehmen, die auf dem Markt Konkurrenten sind.
Kakaras: Unsere Zusammenarbeit ist sehr projektbezogen und es gibt eine klare Aufgabenverteilung mit fest definierten Arbeitspaketen für alle Partner. In solchen Projekten findet sich eigentlich immer folgendes Dreieck wieder: Exzellenz aus der Wissenschaft, Anwendungsforschung aus der Industrie und Endanwender, die oftmals ebenfalls aus der Wirtschaft kommen. Wichtig ist eben die projektbezogene Zusammenarbeit mit klarer Definition. Und eines kann ich definitiv sagen: Bei großen Fragen müssen Wettbewerber eigentlich zusammenarbeiten. Und Dekarbonisierung, Infrastruktur und Logistik des Energiesektors, das sind in der Tat große Fragen.
Was ist Ihre Motivation, sich bei SPIN zu beteiligen?
Kakaras: Für uns als Unternehmen ist die Standortentwicklung sehr wichtig. Und diesbezüglich ist die Mitsubishi Power Europe GmbH ein europäisches Unternehmen beziehungsweise ein deutsches Unternehmen mit einem japanischen Stakeholder. Die Wertschöpfung, die wir heute auf globaler Ebene leisten, ist daher ein Beitrag zu unserem Standort Duisburg. Und genau das ist unsere Motivation, uns an Initiativen wie SPIN zu beteiligen und sie zu unterstützen: Wertschöpfung für unseren gemeinsamen Standort Europa und Nordrhein-Westfalen.
Deerberg: In der anwendungsorientierten Forschung haben wir noch eine andere und vielleicht eigene Motivation. Wir denken in einem Ökosystem: Aus der Grundlagenforschung bekommen wir neue grundlegende Erkenntnisse und diese übertragen wir in die Anwendung. Damit machen wir bei Fraunhofer einen wichtigen Schritt, um den Transfer in die Umsetzung zu ermöglichen. Das ist unsere Aufgabe im System. Im nächsten Schritt entstehen aus unserer Arbeit neue Technologien, die in der Wirtschaft eingesetzt werden, und die nicht nur für die Unternehmen Vorteile bringen, sondern Fortschritt und Wettbewerbsfähigkeit für den gesamten Standort. Typischerweise entstehen in diesem Prozess auch immer wieder neue Fragen, für die neue Ideen generiert werden. Dieses Innovationssystem wird einerseits durch den Freiraum und die Kreativität der Forschenden gespeist und andererseits durch die Bedürfnisse und Fragestellungen, die die Unternehmen haben.
Ist mit der Kooperationsplattform SPIN auch der vielzitierte Elfenbeinturm der Wissenschaft Vergangenheit?
Deerberg: Um ganz ehrlich zu sein: Ich denke wir brauchen auch diesen Elfenbeinturm. Wobei ich ihn allerdings nicht als Elfenbeinturm benennen würde. „Elfenbeinturm“ hat etwas Elitäres und Ausgrenzendes, das ich so nicht meine. Was aber hinter dem Gedanken des Elfenbeinturms steht, ist die Autonomie und die Freiheit des Forschens. Ein Raum also, in dem Forscherinnen und Forscher in Ruhe und ohne Zwänge denken, arbeiten und kreativ sein können – gegebenenfalls sogar, ohne zunächst eine konkrete Anwendung vor Augen zu haben. Einen solchen Raum brauchen wir häufig als Startpunkt. Für den nächsten Schritt, die Anwendung, sind dann Kooperationen wie SPIN wertvoll. Denn wir als Forscher wissen natürlich nicht, was im Unternehmen vor Ort passiert. Dafür brauchen wir den Austausch. Kooperation steuert so in gewisser Weise die angewandte Forschung.
Würden Sie also sagen, dass Kooperationsplattformen wie SPIN sowohl Unternehmen als auch Forschungseinrichtungen in eine erfolgreiche Zukunft führen können?
Deerberg: Das würde ich auf jeden Fall so unterschreiben, ja.
Kakaras: SPIN ist vor allem auch ein Beschleuniger. Ideen und Initiativen, die zum Beispiel von einem Start-up oder einem Forschungsinstitut stammen, werden durch SPIN näher und schneller in den Bereich der Anwendung getragen.
Spüren Sie schon heute einen positiven Effekt von SPIN?
Deerberg: Ja, deutlich. Durch die Kooperationen ist ein direkter Schub von Aktivität spürbar. Und das tut gut. Das tut auch unseren Leuten gut. Denn sie sehen, dass ihre Forschung sinnvoll und gebraucht ist. Und was außerdem wichtig ist, vielleicht noch wichtiger, ist der persönliche Austausch. Dieser zwischenmenschliche Austausch, der gegenseitiges Vertrauen und Verständnis generiert. Das bereichert ungemein und macht sicherlich einen großen Mehrwert der Kooperation aus. Und vielleicht ist es auch das, was ein Stück weit das Ruhrgebiet charakterisiert: Dass wir diese Vielfalt haben und nicht jeder in seinem eigenen Topf rührt.
Kakaras: Auch die Sichtbarkeit und Wahrnehmung von Forschungsvorhaben in der Öffentlichkeit hat sich durch SPIN deutlich gesteigert. Als disziplinübergreifender Verband kann SPIN seine Vorhaben natürlich mit einer ganz anderen Reichweite präsentieren, als einzelne Projektpartner das könnten. Auch gerade erst gestartete Vorhaben erfahren dadurch schon jetzt eine große positive Resonanz.
Ist SPIN offen für neue Mitglieder?
Kakaras: Absolut. Wir sind offen für alle: Universitäten, Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Industrie, kleine und mittelständische Unternehmen, Start-ups, …
Deerberg: Wer sich für SPIN interessiert, meldet sich und wird aufgenommen. Einfach eine E-Mail an info@spin.ruhr schreiben oder anrufen oder chatten – alle Wege sind offen.
Leuchtturmprojekte
Leuchtturmprojekte
Diese Projekte aus Nordrhein-Westfalen zeigen schon heute, wie die Transformation des Energiesystem gelingen kann.
QUIRINUS Control: Monitoring zur Versorgungssicherheit
Welche Folgen hat die Transformation des Energiesystems auf die Unternehmen und auf die Menschen im Rheinischen Revier? Ist die Stromversorgungsqualität weiterhin gesichert? Am QUIRINUS-Standort Heppendorf im Rhein-Erft-Kreis sucht man im Team nach Antworten.
Durch den Ausstieg aus der Kohleverstromung besteht die Chance, das Rheinische Revier zu einem weltweiten Vorreiter für den Klimaschutz zu machen. Die Modellregion soll zeigen, wie die Transformation hin zu einem durch erneuerbare Energien geprägten Energiesystem und zu einer klimaneutralen Industrieregion gelingen kann.
Was passiert aber konkret, wenn die konventionellen Kraftwerke im Rahmen der Energiewende nach und nach abgeschaltet werden? Bleibt die Stromversorgungsqualität weiterhin gesichert? Trotz dezentraler, erneuerbarer Energiequellen? Solche Fragen stellen sich viele Industrie- und Gewerbeunternehmen in der Region. Denn gerade für Produktionsunternehmen und Betreiber kritischer Infrastrukturen wie Kliniken oder Trinkwasserversorger ist die störungsfreie Versorgung mit elektrischer Energie von essentieller Bedeutung.
Energiesicherheit und Klimaschutz in Balance
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, die komplexen Beziehungen von Ursachen und Wirkungen bei der Transformation des Energiesystems auf Ortsnetzebene zu kennen – um bei Bedarf nachjustieren zu können. 24 Partner aus Netzbetreibern, Stadtwerken, IT-Spezialisten, Herstellern von Energiesystemlösungen und Hochschulen haben sich deshalb zusammengeschlossen und bauen im Rahmen des Verbundprojekts QUIRINUS Control gemeinsam ein Controlling-System für Versorgungsqualität und -sicherheit im Rheinischen Revier auf. Dazu werden 300 Messpunkte bei Industrie- und Gewerbebetrieben installiert, untereinander vernetzt und die so erhobenen Echtzeitdaten übertragen und ausgewertet. Darauf aufbauend wird unter anderem über künstliche Intelligenz abgeleitet, wie die Versorgungsqualität auf dem gewohnt hohen Niveau gehalten oder noch verbessert werden kann. So schafft QUIRINUS Control Transparenz hinsichtlich der Transformation zu einem dezentralen, klimaneutralen Energiesystem bei gleichzeitigem Erhalt der Stromversorgungsqualität aus Sicht von Industrie und mittelständischen Unternehmen im Rheinischen Revier.
Ökonomische, ökologische und soziale Effekte
Insgesamt will QUIRINUS Control gleich auf mehreren Ebenen positive Effekte erzielen: Ökonomisch sollen die kontinuierliche Produktion gesichert, neue Marktchancen in der Energiesicherheit eröffnet und die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts erhalten werden. Ökologisch sollen unter anderem der Um- und Ausbau des regionalen Energiesystems optimiert und die Integration erneuerbarer Energiequellen in die Energieversorgung weiter vorangetrieben werden. Sozial sollen Arbeitsplätze und Wertschöpfung sowohl erhalten als auch neu geschaffen werden.
zur Projektwebsitemaxcap: konstante Energie aus Windkraftanlagen
Das Ingenieurbüro windwise GmbH aus Münster entwickelte im Rahmen des EFRE-kofinanzierten Forschungsprojekts maxcap den Prototyp einer grundlastoptimierten Windenergieanlage. Das Konzept setzt im Vergleich zum heutigen Stand der Technik auf eine deutlich geringere Flächenleistung, also ein geringeres Verhältnis zwischen Generatorleistung und Rotordurchmesser. Dies hat drei entscheidende Vorteile:
Zunächst werden mit dem großen Rotordurchmesser von 141 Meter mit der maxcap windschwache Binnenstandorte nutzbar. Weiterhin weist die maxcap mit 3.500 bis 4.000 Volllaststunden im Vergleich zu herkömmlicher Technik eine fast doppelt so hohe Kapazitätsauslastung auf. Die damit verbundene gleichmäßigere Energieproduktion entlastet die Stromnetze, reduziert den Bedarf an Speichern und begünstigt eine Kopplung zum Beispiel mit Wasserstoffanlagen. Zuletzt ist die maxcap eine „schlanke“ Windenergieanlage. Der Fokus bei der Entwicklung lag vor allem auf dem Einsparen von Gewicht und Kosten.
SPIN-Projekt Fit4eChange: Unterstützung für Stromnetzbetreiber
Dezentrale Einspeisung von erneuerbaren Energien, dynamische Stromflüsse, das Laden von Elektrofahrzeugen, strombetriebene Wärmepumpen und der Betrieb von Blockheizkraftwerken – all das sind Herausforderungen für das Niederspannungsverteilnetz und seine Betreiber.
Vor dem Hintergrund dieser veränderten Bedingungen ist es für die Netzbetreiber insbesondere wichtig, das neue Nutzerverhalten abschätzen zu können und zu wissen, zu welchen Zeiten besonders viel Energie abgerufen wird. Dafür entwickelt Fit4eChange einerseits eine intelligente Sensorik, die auf den speziellen Informationsbedarf von Verteilnetzbetreibern ausgerichtet ist, und nutzt andererseits die vorhandene Netzwerk-Infrastruktur des Internet of Things. So kann die Stromnutzung prognostiziert und zum Beispiel durch Preisanreize bedarfsgerecht gesteuert werden.
SPIN-Projekt kV-Batt-TECH: Speichertechnologie für die Netzstabilität
Mit dem steigenden Anteil von erneuerbaren Energien entsteht häufig ein Ungleichgewicht zwischen erzeugter und verbrauchter elektrischer Leistung. Um dieses auszugleichen, könnten die technologisch verhältnismäßig weit ausgereiften Batterie-Energie-Speicher-Systeme eingesetzt werden. Diese werden im Projekt kV-Batt-TECH bezüglich ihrer Effizienz und Zuverlässigkeit weiter optimiert.
Die Zielvision ist ein Hochspannungsbatteriespeicher, der über eine Systemspannung von mehr als 5.000 Volt verfügt, im Aufbau besonders kompakt ist und sich über ein intelligentes Wartungskonzept sicher und kostengünstig betreiben lässt. Der Energiespeicher kann dabei autark oder in Kombination mit anderen Energiequellen eingesetzt werden und zur Netzstabilität beitragen. Letztendlich sollen so Resilienz und Verfügbarkeit der Energieversorgung im zukünftigen Energiesystem gesichert werden.
ARESS: Mit 200 Tonnen das Stromnetz stabilisieren
Wind- und Sonnenenergie stellen neue Herausforderungen an die Übertragungsnetze. So bedarf es zum Beispiel stabilisierender Elemente im Stromnetz, damit auf signifikante Störungen kein großflächiger Stromausfall folgt.
Damit erneuerbare Energiequellen uns in Zukunft zuverlässig mit Strom versorgen können, braucht unser Stromnetz zusätzliche stabilisierende Elemente. Solche Technologien können Störungen im Netz ausgleichen und damit Stromausfälle verhindern.
In Sekundenschnelle reagieren
An einem neuen technologischen Ansatz für so ein stabilisierendes Element arbeiten Siemens Energy und Amprion. Gemeinsam mit Universitäten und mit der Unterstützung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) arbeiten die beiden Unternehmen an dem rotierenden asynchronen Phasenschieber ARESS (Asynchronous Rotating Energy System Stabilizer).
Der Aufbau von ARESS ist komplex: Das Herzstück ist eine sogenannte elektrische Asynchronmaschine, deren Rotordrehzahl von der Frequenz des Stromnetzes abweichen kann. Die Asynchronmaschine treibt den zweiten wichtigen Bestandteil von ARESS an und versetzt ihn in Rotation: ein Schwungrad, das ein Gewicht von fast 200 Tonnen haben soll. Das entspricht dem Gewicht eines sehr großen Blauwals. Oder dem Gewicht von fünf vollbeladenen Lkw der schwersten in Deutschland zugelassenen Kategorie. Oder dem Gewicht von 2.255 erwachsenen Menschen. Sprich: ein enorm schweres Schwungrad. Durch dieses Gewicht kann das Schwungrad eine große Menge an Energie in Form von Rotationsenergie speichern – und sie bei Bedarf innerhalb von Sekunden wieder abgeben.
Sollte es zu einer Störung im Stromnetz kommen, bei der sich die elektrische Frequenz plötzlich verändert, kann ARESS die gespeicherte Rotationsenergie in Sekundenschnelle in das Netz einspeisen und es dadurch für die entscheidenden Momente stabilisieren. Die Leistung von bis zu 120 Megawatt, die ARESS in solchen Störungsfällen innerhalb von Sekunden in das Stromnetz abgibt, entspricht dabei der Leistung von etwa 20 großen Windenergieanlagen.
Zusätzliche Zeit zum Handeln verschaffen
Mit der Unterstützung aus der Rotationsenergie erhöht sich damit die Sicherheit unserer Energieversorgung während eines Störfalls. Zudem verschafft die Rotationsenergie im Störfall ein zusätzliches Zeitfenster, in dem die Regelenergie aktiviert werden kann.
Die Fähigkeiten von asynchronen Phasenschiebern wie ARESS werden bereits in einigen wissenschaftlichen Untersuchungen erwähnt. Tatsächlich verfügbar ist eine Anlage in der relevanten Größe jedoch noch nicht und auch spezifische technische Herausforderungen für den realen Betrieb sind noch nicht gelöst. Diese bisher offenen Fragen wollen die Projektpartner mit ARESS nun beantworten. Die Optimierung der Übertragungsnetze, die Integration zusätzlicher erneuerbarer Energien und die wirtschaftliche Optimierung gehen bei diesem Projekt Hand in Hand.
Schlaglicht: Wettbewerb Tiefengeothermie
Schlaglicht
Wettbewerb Tiefengeothermie
Drei Gewinnerprojekte
Das kommunale Cluster Düsseldorf-Duisburg möchte die bisher fossilen Fernwärmenetze klimafreundlicher gestalten. In Düsseldorf sind die Schwerpunkte der Machbarkeitsstudie der Flughafen sowie dezentrale Fernwärmenetze, sogenannte Inselnetze. Die zentrale Einspeisung von Wärme aus Tiefengeothermie wird in Duisburg untersucht. Dort steht das vorhandene Fernwärmenetz für die kommunale und industrielle Versorgung im Fokus.
Im kommunalen Cluster Düren-Kreuzau sollen die Papier- und Textilindustrie sowie metallverarbeitende Betriebe über eine Pipeline mit Wärme aus Tiefengeothermie beliefert werden. Alle drei Branchen benötigen hohe Temperaturen um die 120 Grad Celsius für ihre Produktionsprozesse. Mit dem Temperaturrücklauf wollen die Kommunen weitere Fernwärmekunden versorgen.
Die Stadt Straelen setzt ihren Schwerpunkt auf den lokalen Gartenbau. Dabei wird ein zielgruppenorientierter Ansatz verfolgt, bei dem möglichst viele Branchenunternehmen in die Machbarkeitsstudie einbezogen werden. Untersucht wird, wie Rosen oder Tomaten mit erneuerbarer Wärme in Gewächshäusern produziert werden können.
Kommunen sind verlässliche Partner für die Wärmewende Ich freue mich sehr über das große Interesse am Wettbewerb und die qualitativ hochwertigen Bewerbungen aus allen Teilen des Landes. Das zeigt: Die Kommunen sind verlässliche Partner, wenn es darum geht, die klimafreundliche Wärmeversorgung vor Ort voranzutreiben und die Tiefengeothermie in der Fläche nutzbar zu machen.
Panorama der Energieforschung in Nordrhein-Westfalen
Andere Themen und Facetten kennenlernen
- Header: © malp - stock.adobe.com
- Projekt maxcap: © MWIDE NRW/A. Buck
- Projekt Fit4eChange: © Peterfactors - stock.adobe.com
- Projekt Projekt kV-Batt-TECH: © ra2 studio - stock.adobe.com
- Projekt ARESS: © www.siemens-energy.com
- Teaser Transformationsforschung: © sebra - stock.adobe.com
- Teaser Überblicksseite: © MWIDE NRW/M. Kusch